Die Blume des Jahres 2022 – die Vierblättrige Einbeere (Paris quadrifolia) – wurde von der Loki-Schmidt Stiftung gekürt. Die Stiftung möchte mit dieser Wahl auf die Bedeutung naturnaher und historisch alter Wälder aufmerksam machen. Weil sich die Pflanze nur langsam ausbreiten kann, ist die Vierblättrige Einbeere auf einen langfristigen Schutz ihres Lebensraums in alten Wäldern angewiesen.
Wie ihr Name bereits vermuten lässt (‚quadrifolia‘ aus dem lateinischen abgeleitet bedeutet vierblättrig), bildet die Vierblättrige Einbeere an einem ca. 10 - 30 cm langen Stängel einen Quirl aus vier (gelegentlich auch drei, fünf oder sechs) Blättern. Oberhalb dieses Blatt-Quirls entwickelt sich im Mai die eher unauffällige, vierzählige Blüte, mit acht gut sichtbaren Staubblättern. Bereits zu Beginn der Blüte zeigt sich der schwarze, auffällige Fruchtknoten. Dieser wächst im Laufe des Sommers zu einer dunkelblauen oder schwarzen Beere aus, in der sich die Samen befinden. Die Samen werden durch Vögel und Ameisen ausgebreitet. Die Vierblättrige Einbeere kann sich jedoch nicht nur über ihre Samen vermehren, sondern auch über unterirdische Sprosse, welche Rhizome genannt werden. Aus diesen können sich überirdisch neue Triebe entwickeln.
Da die Vierblättrige Einbeere auf relativ kurze Distanzen beschränkt ist, über die sie sich ausbreiten kann, ist die Art auf historische alte Wälder angewiesen. Historische alte Wälder, sind solche, welche mindestens die letzten 200 bis 300 Jahre ununterbrochen als Wälder galten. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Europa bis nach Zentralasien.
Die Vierblättrige Einbeere wächst in frischen bis sickerfeuchten Eichen- und Buchenwäldern, Auenwäldern und Nadelmischwäldern. Durch die zunehmende wirtschaftliche Nutzung und damit verbundene Entwässerung von Waldflächen, sind naturnahe, feuchte Wälder in Deutschland immer seltener geworden. Noch gilt die Pflanze auf der Roten Liste Deutschlands als ungefährdet und ist in Süddeutschland noch relativ weit verbreitet, während sie in einigen norddeutschen Bundesländern schon als gefährdete Pflanzenart gilt. In Hamburg ist sie bereits als stark bedroht (Rote Liste Status 1) eingestuft.
Im Landkreis Waldshut findet die Pflanze viele ihren Ansprüchen genügende Wälder, sodass sie hier flächendeckend ihr Verbreitungsgebiet hat.
Warum sind die Bestände rückläufig?
Naturnahe, feuchte Wälder sind selten geworden. Ein Grund dafür ist die häufig mit der Bewirtschaftung der Wälder verbundene Entwässerung. Zum anderen wurden während des Mittelalters und vor der industriellen Revolution viel Wald gerodet. Flächen, die vorher zu ca. 75% durch Rotbuche geprägt waren, wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegend mit Fichten aufgeforstet. Dies führte dazu, dass heute in Deutschland nur noch ca. 15 % der Fläche Buchenland ist. Damit wurden die natürlichen Lebensräume der Einbeere erheblich reduziert.
Nicht nur auf die Einbeere wirkt sich der menschliche Einfluss auf die Baumartenzusammensetzung in Wäldern aus. Insgesamt nimmt die Pflanzenvielfalt in unseren Wäldern ab. Um dies zu verhindern, braucht es Naturschutzgebiete in Wäldern und eine naturschutzfreundliche Forstbewirtschaftung. Dafür setzen sich bereits heute viele Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter ein. Für den Staatswald stellt die ForstBW (Anstalt öffentlichen Rechts Forst Baden-Württemberg) ein verbindliches Konzept auf. Die Gesamtkonzeption Waldnaturschutz stellt eine Verbindung von Naturschutzkonzepten und Waldnaturschutzzielen dar.
Auch unter Pflanzen gibt es Parasiten
Wie die meisten aller Gefäßpflanzen profitiert die Vierblättrige Einbeere von Mykorrhiza-Pilzen, mit denen sie über die Wurzeln verbunden ist. Diese Beziehung zwischen Pilz und Pflanze wurde lange für eine Symbiose gehalten, bei der die Pflanze durch die Pilze mit Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor aber auch mit Wasser versorgt wird. Im Gegenzug erhalten die Pilze von der Pflanze kohlenstoffhaltige Verbindungen, welche durch die Fotosynthese gebildet werden. Studien ergaben jedoch, dass die Vierblättrige Einbeere in ihrem schattigen Lebensraum nur sehr wenig Fotosynthese betreibt. Rund 50% des Kohlenstoffs bezieht sie über die Mykorrhiza, welche wiederum durch andere Pflanzen mit Kohlenstoff versorgt wird. Das bedeutet, dass sich die Einbeere zu einem erheblichen Teil von den Mykorrhiza-Pilzen versorgen lässt.
Achtung – giftig!
Früher wurde die Einbeere als „Pestbeere“ in Kleider eingenäht und am Körper getragen, da man ihr Zauberkräfte zusprach und hoffte, dass die Pflanze vor der Pest schützen könne. Auch von Dämonen sollte die Pflanze Menschen befreien können. Außerdem wurde sie als Arzneimittel zur Wundbehandlung, bei rheumatischen Beschwerden und zur Abtötung von Kopfläusen verwendet. Heute findet die Art noch in sehr geringen Konzentrationen Anwendung in der Homöopathie z. B. zur Behandlung von Kopfschmerzen.
Da die Beeren den Früchten von Heidelbeeren sehr ähnlich sehen, ist Vorsicht geboten! Auch die gesamte Pflanze, aber insbesondere die dunkle Beere und das Rhizom, sind sowohl giftig für den Menschen als auch für Insekten, Spinnen, Fische und Hunde. Eine Verwechslungsgefahr mit genießbaren Beeren ist aufgrund der sehr unterschiedlichen sonstigen Merkmale der Pflanzen eher gering. Während die Vierblättrige Einbeere einjährige Sprosse mit auffälligen Blättern bildet, wachsen Heidelbeeren an verholzenden Zwergsträuchern mit sehr kleinen Blättern.
Text: Hanna Schork; Bild: © Alexander Frisch
Quellen:
Ludewig, K.; Holst, S.: Loki Schmidt Stiftung Blume des Jahres 2022 – ein Porträt
(Download: https://loki-schmidt-stiftung.de/blume-des-jahres/2022)
Jäger, E. J. (2017): Rothmaler Exkursionsflora von Deutschland – Gefäßpflanzen: Grundband 21. Auflage
Oberdorfer, E. (2001): Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. - 8. Auflage
Sebald, O.; Seybold, S.; Philippi, G.; Wörz, A. (1998): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs: Band 7
https://www.floraweb.de/webkarten/karte.html?taxnr=4124, aufgerufen am 11.1.22
https://www.forstbw.de/schuetzen-bewahren/waldnaturschutz/gesamtkonzeption-waldnaturschutz/, aufgerufen am 11.1.22
https://www.rote-liste-zentrum.de/de/Detailseite.html?species_uuid=386eae2c-97e8-47c5-8ef8-ebf6922e5c6a, aufgerufen am 29.12.21